Montag, 13. August 2007

Neuer Lokalpatriotismus

Heute habe ich die Berliner lieben gelernt. Aber von vorn.
Vom Wiesbadener Kurier war ich ja nicht besonders verwöhnt. Also gehe ich um zwei vor zehn ins Redaktionsgebäude und erwarte Erstaunen, Genervtsein und Überforderung angesichts meines Erscheinens. Aber nein; der Pförtner sieht mich kommen und ruft mir freudig entgegen: "Guten Morgen! Sie wollen sicher jemanden besuchen, oder?" "Nein, eigentlich nicht. Ich bin ab heute für acht Wochen Praktikantin hier, mein Name ist Meike Ferrari." "Ja, sag ich doch. Ich hab Sie schon auf meinem Zettel stehen für heute."
Der Zettel wird mir gezeigt, der zweite Pförtner kommt aus dem Kabuff und besichtigt mich. Schon mal sehr gut: Jemand weiß von mir. Ich werde in den Fahrstuhl geschickt und im vierten Stock vom zuständigen Regisseur abgeholt.
Meine Redaktion besteht aus zwei Redakteuren und jetzt mir. Nach kurzer Einweisung ("Lange Vorträge finden wir doof, du kriegst das ja mit der Zeit sowieso mit und Selbermachen ist immer am besten.") kriege ich Rechercheaufträge. Berlin-Rankings, "die zehn größten/besten/...". In fast allen denkbaren Bereichen darf ich mir Rankings ausdenken und recherchieren, um die Extra-Seiten zu bestücken. Niedergelassene Ärzte pro Bezirk, Krankenhausbetten pro Krankenhaus und beliebteste Ausbildungsberufe hab ich heute schon geschafft, morgen kommen noch Berliner Zeitschriften, Wohnungsleerstände pro Beruf und Media-Agenturen mit den meisten Mitarbeitern dazu.
Es ist bestimmt echte Praktikantenarbeit, aber ich genieße wirklich, mal den ganzen Tag recherchieren zu können. Das fehlt mir schon seit Beginn des Studiums. Und das Beste: Mein zuständiger Redakteur hatte sich geirrt und der Verwaltung geschrieben, ich käme am 23.08.. Wunder über Wunder - ich hatte heute trotzdem schon einen funktionierenden Account auf meinen Namen. Einen richtigen eigenen, keinen pauschalen Praktikanten-Account!
Ich sitze in der Wirtschaftsredaktion des Tagesspiegels und fühle mich wohl wie ein Erdferkel im Schlammloch. Alle Redakteure haben mich begrüßt, NIEMAND siezt mich, der Altersschnitt liegt bei geschätzten 35 Jahren und die Sekretärin ist eine echte Urberliner Pflanze. Es gibt immer eine Getränkebar, man muss seine Tasse nicht selbst spülen und die Kollegen haben mich mittags gefragt, ob ich mit zum Essen komme. Ich will nicht zurück ins Amt! Wiesbaden ist so spießig!

Morgen mache ich meine Rankings fertig und schreibe über Firmenneugründungen. Und meine erste Reportage wird vermutlich ein Stück darüber, dass Friseure immer weniger Azubis haben und mittlerweile schon verzweifelt suchen. Obwohl der Beruf ja zu den fünf beliebtesten Ausbildungsberufen gehört. Ich glaube, ich könnte mich tatsächlich mit Wirtschaftsjournalismus anfreunden - nicht, dass ich das jemals Herrn Wolff sagen würde...

1 Kommentar:

korrektur: koch hat gesagt…

Du kannst nicht in Berlin bleiben! Du darfst da gern die nächsten Wochen Deinen Spaß haben, aber danach musst Du wieder nach Wiesbaden kommen - wir brauchen Dich hier!

PS: Ick wusste doch, det auf telefonzentrale: ferrari Verlass ist und ick auf Blog-Einträge hoffen kann.